Heimatfront

Der Erste Weltkrieg und seine Folgen für Dülken 1914 – 1934.

Es gibt in Deutschland in nahezu jedem Ort Erinnerungszeichen, die auf den Ersten Weltkrieg verweisen. Aber meist nehmen Passanten sie gar nicht wahr, sie sind fast unsichtbar. Auch der Krieg selbst ist im deutschen öffentlichen Bewusstsein kaum präsent. In einigen unserer Nachbarländer, Frankreich, Belgien, Großbritannien, ist das ganz anders. Der 11. November, der Tag des Waffenstillstands, ist dort ein nationaler Feiertag, an dem an den „Großen Krieg“ erinnert und der Opfer gedacht wird. Deutschland hat den Krieg verloren, der 11. November ist in den Augen vieler Deutscher kein erinnerungswürdiger Tag. Außerdem wird die Erinnerung überlagert durch den Zweiten Weltkrieg, der an „Zerstörung, Leid und Grausamkeit den Vorgängerkrieg“ noch einmal deutlich übertroffen hat.[i]

Auch in Dülken gibt es Erinnerungsmale, z. B. den Siegfried an der Theodor-Frings-Allee, das Ehrenmal in Busch oder den Soldatenfriedhof. Sie erinnern an die toten Soldaten, finden aber nur noch geringe Beachtung. Für die heutigen Menschen scheint dieser Krieg weit entfernt, sowohl in zeitlicher als auch in geografischer Hinsicht. Er fand jedoch nicht nur in Frankreich, Belgien, Russland, den Kolonien oder auf den Meeren statt, sondern auch in Dülken. Natürlich gab es in Dülken keine kriegerischen Auseinandersetzungen. Aber zeitweise wurde das Leben in der Stadt von feldgrauen Uniformen geprägt. Fünf größere Gebäude und Säle wurden zu Kasernen umfunktioniert. Verwundete waren in mehreren Lazaretten untergebracht. Und im Castellchen waren russische Kriegsgefangene interniert. Der Tod im Krieg, damals zum „Heldentod“ stilisiert, war ständig präsent, nicht nur in den Todesanzeigen der Zeitungen, sondern auch durch die Begräbnisse auf dem Soldatenfriedhof der Stadt. Der Krieg dominierte das tägliche Leben jedoch ebenfalls im zivilen Bereich.

Es ist noch weitgehend bekannt, dass die Zivilbevölkerung im Ersten Weltkrieg teilweise wenig zu essen hatte. Und viele haben auch schon einmal vom sog. Steckrübenwinter gehört. Aber was heißt das genau? Wieviel Gramm Fleisch hatte eine Familie pro Woche zur Verfügung? Und wieviel Fett? Ab wann gab es Ersatz? Und worin bestand der Ersatz für den Ersatz? Konnten die Schulkinder ausreichend ernährt werden? War die Kriegsküche nur etwas für faule Hausfrauen? Hatten wenigstens die Schwerarbeiter in den Munitionsfabriken genug zu essen?

Ein in der Zeitung veröffentlichtes Rezept für ein Weihnachtsessen im Jahr 1917 gibt einige Auskünfte: „In mäßigen Grenzen gehalten, darf man sich auch von Zeit zu Zeit eine den Verhältnissen entsprechende Leckerei bieten. Dazu gehört eine Sperlingssuppe, gehören Kartoffelküchlein und Marmeladennudeln. Zu jedem dieser Gerichte muß entweder vorher oder hinterher etwas Kompaktes gereicht werden, aber, da es die Feiertagswoche ist, wird sich wohl jede Hausfrau darauf eingerichtet haben. – Auf den Mehlabschnitt der Brotkarte erhält man häufig Maismehl statt Mehl. Man lehne diesen Ersatz ja nicht ab, da aus Maismehl verschiedenartige, sehr wohlschmeckende Suppen bereitet werden können.

Sperlingssuppe. Die Sperlinge werden sauber wie junge Tauben zugerichtet, in ein wenig Butter gebräunt und mit Suppengrün und Zwiebeln ganz weich gekocht. Salz, ein Lorbeerblatt und Petersilie erhöhen den Wohlgeschmack, wie auch ein Glas Weißwein. Auf einen Sperling für die Person rechnet man ¼ Liter Wasser.“

Dieses Festtagsrezept verrät uns mehr als Propaganda, Durchhalteparolen und lustige Postkarten, die den Hunger verharmlosten. Aber selbst wenn eine Hausfrau die nötigen Zutaten für die Sperlingssuppe besorgen konnte, war nicht garantiert, dass die Gasfabrik überhaupt hinreichend Gas zum Kochen und für die Beleuchtung produzierte.  Nicht umsonst tauchte der Begriff „Gas-Kalamität“ auf. Und wieso riet der „Sprecher am Niederrhein“ den Dülkenern, im Winter mit den Hühnern ins Bett zu gehen? Verhielten sich in diesen schwierigen Zeiten die Menschen solidarisch, weil Not verbindet, oder nahm der Egoismus überhand? Fielen die Dülkener durch ihr Verhalten der tapfer kämpfenden Front in den Rücken und waren so mitverantwortlich für die Niederlage? Fragen über Fragen. Und wer weiß, dass die Kirchturmuhr von St. Cornelius lange die belgische Zeit anzeigte? Und dass jeder Dülkener belgische Offiziere und die Regimentsfahne zu grüßen hatte, dass aber „müßiges Umherstehen“ verboten war? Ist bekannt, dass die Belgier erst 1926 abzogen, was Jubelfeiern auslöste? Und dass der Dülkener Bürgermeister Dr. Lürken länger als ein Monat im belgischen Gefängnis in Krefeld inhaftiert war? Dass Sammler von Ansichtskarten mit Dülkener Motiven häufig in belgischen Antiquariaten fündig werden, weil belgische Besatzungssoldaten viele Ansichtskarten in ihre Heimat schickten?

Die Darstellung, in der diese und andere Fragen beantwortet werden, behandelt den Zeitraum von 1914 (Generalmobilmachung) bis 1934 (Einweihung des Kriegerehrenmals an der heutigen Theodor-Frings-Allee). In sechs Kapiteln geht es um die Soldaten aus Dülken und in Dülken stationierte Soldaten, die Ernährung und Versorgung der Zivilbevölkerung, den Dülkener Beitrag zur Finanzierung des Krieges, die Niederlage und anschließende Besatzung durch belgische Truppen bis 1926 und die verschiedenen Formen der Erinnerung an die toten Soldaten.

[i] Münkler, Herfried: Der Große Krieg. Die Welt 1914 – 1918. Berlin, 7.  Auflage 2014, S. 9

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Zur Ausstellung erscheint ein Buch zu diesem Thema von Gunnar Schirrmacher

Ausstellungszeitraum

1. Halbjahr 2022

Ausstellungsort

Viersener Salon
Villa Marx
Gerberstraße 20
41748 Viersen

Öffnungszeiten

Donnerstag - Samstag
15.00 - 18.00 Uhr

Sonntag und Feiertage
11.00 - 18.00 Uhr

Einritt ist frei.